Erste Verfassung – 1860

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Hamburger Bürger mit Bürgerrecht um 1860

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Erste Verfassung – 1860

Ausführlicher Lesetext

Vor rund 140 Jahren plante der Rathausbaumeister Martin Haller das Rathaus als Abbild der Hamburgischen Verfassung von 1860/79. Heute ist diese in Stein gehauene Verfassung längst überholt. Schon seit 1919 geht z. B. alle Staatsgewalt vom Volke aus und nicht – wie noch 1860/79 – vom Senat und einer Versammlung von Bürgern (Bürgerschaft), die zwar gewählt wurde, aber nur von denjenigen männlichen Bewohnern der Stadt, die das Bürgerrecht besaßen. Und das waren eben gerade nicht alle erwachsenen Einwohnerinnen und Einwohner Hamburgs. Im Laufe der Zeit wurde die Verfassung noch mehrmals verändert, zuletzt im November 2020.

Obwohl der Geist der alten Verfassung von 1860/79 im Gemäuer und Interieur konserviert ist, lässt es sich im Rathaus gut mit der heutigen Verfassung leben. Nach wie vor bietet das Rathaus sowohl der Bürgerschaft als auch dem Senat Arbeits- und Repräsentationsräume. Das Rathaus repräsentiert in seiner architektonischen Gestalt zwei der drei in der Verfassung verankerten Staatsgewalten: Bürgerschaft und Senat, also Legislative und Exekutive. Um schließlich die rechtsprechende, dritte Staatsgewalt (Judikative) kennenzulernen, müssen wir das Rathaus verlassen und einen Gang zum Sievekingplatz unternehmen: Dort befinden sich Zivil- und Strafgerichte, das Oberlandesgericht und auch das Verfassungsgericht.

Hatten die hanseatischen Rathausbaumeister etwa die Anfang des 19. Jahrhunderts übliche Sitzordnung der französischen Deputiertenkammer im Blick, als sie Bürgerschaft und Senat ihre Räumlichkeiten im Rathaus zuwiesen? Denn in der Deputiertenkammer erhielten die Begriffe „rechts“ und „links“ zum ersten Mal politischen Bezug. Links saßen die „Bewegungsparteien“, diejenigen also, deren Ziel es war, die politisch-sozialen Verhältnisse zu verändern. Und rechts saßen die „Ordnungsparteien“, die im Wesentlichen auf die Bewahrung der politisch-sozialen Verhältnisse hinwirkten. Der Begriff „links“ wurde aber auch dann gebraucht, wenn ein Mann eine sogenannte unebenbürtige Frau heiratete und damit eine Ehe „zur linken Hand“ einging. Nun sind Senat und Bürgerschaft zwar nicht miteinander verheiratet, dennoch haben sie eine jahrhundertelange, spannungsreiche Beziehung. Es dauerte allerdings bis 1919, ehe sie auf eine demokratische Basis gestellt wurde – die 1921 in der Verfassung festgeschrieben wurde.

Verfassungsreform 1860

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Urheber: Landeszentrale für politische Bildung

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Die in Stein gehauenen Handwerker an der Außenfassade des Rathauses sollen das Bürgertum, bzw. die Berufe repräsentieren.

Nach der bürgerlichen Revolution im Jahr 1848 wurde der Ruf lauter, dass alle Einwohner Hamburgs vollwertige Bürger (gleiches Wahlrecht und gleiche Möglichkeiten an der Regierung der Stadt teilzuhaben) sein sollten. Bisher war dies eine kostspielige Angelegenheit und nur vermögenden Männern vorbehalten. 

Die Verfassungsreform von 1860 gewährte allen männlichen Bürgern über 25 Jahren, die Einkommensteuer zahlten, politische Mitbestimmungsrechte.

Trotz Reformen blieb das Parlament vor allem ein Ort für wohlhabende Männer aus bestimmten Berufen. Die soziale Kluft zwischen Abgeordneten und Wählern war riesig. Und als man ab 1864 auch ohne Bürgerrecht Geschäfte machen und Eigentum erwerben konnte, wurde das Bürgerrecht und somit das Wahlrecht für viele unattraktiv. Die Folge: Immer weniger wollten Bürger werden – und wählen.

Dennoch war die Verfassung von 1860 ein bedeutender Schritt hin zur Demokratisierung der Stadt Hamburg. Die Verfassung sah eine gemeinsame Ausübung der Regierungsgewalt durch den Senat und die Bürgerschaft vor, wobei die Bürgerschaft als „bedeutsamste repräsentative Körperschaft der Stadt" fungierte.

Das Hamburger Rathaus als Symbol der Hamburgischen Verfassung

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Foto aus dem Rathaus. Hier der Festsaal. Die Inschrift S.P.Q.H. über der Tür steht für
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Urheber: Ralf Roletschek

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"SPQH": Diese Buchstaben befinden sich an vielen Stellen im Hamburger Rathaus. Sie verweisen auf SPQR, das in der Zeit des Römischen Reichs die Einheit von Volk und Senat Roms zum Ausdruck brachte. Es stand für "Senat und Volk von Rom" ("Senatus Populusque Romanus"). In Hamburg bedeutet es "Senat und Volk von Hamburg" (Senatus Populusque Hamburgensis).

Die heutige politische Kultur Hamburgs ist auf Teilhabe und Konsens ausgerichtet. An immer mehr Stellen haben die Hamburger Bürgerinnen und Bürger in den letzten Jahren die Möglichkeit bekommen, ihre Verhältnisse – auf Ebene der Stadt wie auch in ihrem unmittelbaren Umfeld – politisch und auch ganz praktisch mitzugestalten. Daher prägt eine Haltung der Zusammenarbeit das Handeln vieler Verantwortungsträger in Hamburg.

Das zeigt sich nicht zuletzt auf der Ebene von Legislative und Exekutive: Wenn Bürgerschaft und Senat sich um Zusammenarbeit bemühen, ist Hamburgs politische Verfassung – im Sinne einer politischen Kultur – in einer guten Situation.

Damit bezieht sich Hamburg auch heute noch auf eine europäische Verfassungsgeschichte, die ihre Wurzeln etwa in den oberitalienischen Stadtstaaten hat. Ein anschauliches Beispiel dafür sind die Fresken des Palazzo Publico in Siena. Ambrogio Lorenzetti stellte hier im 14. Jahrhundert die tugendorientierte, friedliche und auf ihre Entwicklung bedachte oder aber die von Bosheit und Wahnsinn regierte Stadtgesellschaft dar.

Die Folgen einer guten Regierung

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Die Folgen einer schlechten Regierung

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